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Die Marburger Straßenbahn Teil 2: Die "Elektrische", 1911 - 1951 Verkaufspreis: 4,80 Euro 72 Seiten, Format DIN A5, 27 Abbildungen
InhaltsverzeichnisVorwortKapitel 1 - Vorbereitungen für eine elektrische Straßenbahn Kapitel 2 - Die Eröffnung der elektrischen Straßenbahn 1911 Kapitel 3 - Die ersten Jahre waren eine Erfolgsgeschichte Kapitel 4 - Der Kriegsausbruch 1914 brachte für die Bahn eine Zäsur Kapitel 5 - Die schwierigen Nachkriegszeiten belasteten die Straßenbahn bis zum Inflationsjahr 1923 Kapitel 6 - Bessere Zeiten brachten wieder Gewinne Kapitel 7 - Kriegsjahre und Ende der Straßenbahn 1951 Kapitel 8 - Daten, Fakten Anhang - Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweise Verlauf der Straßenbahnlinie vom Hauptbahnhof zum Südbahnhof (Pharma-Plan 1927). Die Verlängerung der Bahn zur Schranke am Südbahnhof kam erst 1934 dazu - nach dem Bau der Hindenburg-Rings von Weidenhausen bis zur Schützenpfuhlbrücke. Hier einige Textproben:... Kapitel 3
Statt der von den Kritikern und den Bedenkenträgern befürchteten Verluste fuhr die Marburger Straßenbahn, wie fast alle anderen Einrichtungen vergleichbarer Art im Deutschen Reich, von Beginn an Gewinne ein. Die Fahrgastzahlen überschritten sämtliche Prognosen.
Das erste Betriebsjahr ging vom 29.11.1911 bis 31.03.1912, danach jeweils vom 1. April bis 31. März des Folgejahres. Bis zu Kriegsbeginn zeigte sich eine kontinuierlich steigende Entwicklung. Sie schlug sich positiv in den Beförderungs- und damit Einnahmezahlen nieder. Mit Inbetriebnahme der Strecken vom Wilhelmsplatz zum Südbahnhof bzw. zum Heumarkt stiegen die pro Monat ermittelten Fahrgastzahlen von 60.000 bis 80.000 auf jeweils 80.000 bis über 100.000 Personen an. Insbesondere brachten die Sommermonate Mai bis August 1913 einen starken Anstieg von fast 30 % gegenüber dem Vorjahr. Dies bestätigte sich zudem im nächsten Jahr. Die Gewinne kamen dem Stadt-säckel zugute. Von den zehn ab Ende 1912 im Bestand aufgeführten Straßenbahnwagen wurden jeweils acht eingesetzt. Zwei Wagen blieben täglich zur Reserve und wegen kleinerer Instandsetzungsarbeiten in der Wagenhalle. Für eine ununterbrochene Fahrt mit der Straßenbahn musste man einen "Nickel" (10 Pfennige) bezahlen. Dieser wurde in einen Metallkasten geworfen. Der Wagenführer konnte damit akustisch die Begleichung des Fahrtpreises kontrollieren. Im Gegensatz zu den Kosten für eine Kutschfahrt war dies ein sozialer Fahrpreis. Im Vergleich zu anderen Städten lag Marburg im untersten Bereich, selbst wenn man die nur kurze Fahrtstrecke von 3,55 km mit einbezieht. Es war zuerst die "Königliche Post", die für ihre Briefträger eine Sonderregelung mit Abonnementskarten anregte und auch erhielt. Im Januar 1913 beantragte die "Marburger Tapetenfabrik und Rauch- und Kautabakfabrik Niderehe" für ihre Arbeiter eine gleiche Regelung wie für die Briefträger der Post. Dies führte dazu, dass die Betriebskommission "E" die Einführung von Abonnementskarten für die Allgemeinheit beschloss. Im März 1914 wurden die Tarife veröffentlicht: "Monatskarten kosten 6,20, Schwestern, Pflegerinnen und Arbeiter zahlen 4,10 und Schülerkarten sind für 3,10 Mark zu beziehen." Beschwerden von Seiten der Universität brachten unverhoffte Kosten. Sie konnten auf Grund der Gewinne ohne Schwierigkeiten getragen werden. Das Physikalische Institut der Universität hatte Einspruch gegen die Errichtung einer elektrischen Straßenbahn eingelegt, da befürchtet wurde, dass elektrische Messinstrumente durch die Strahlungen gestört werden könnten. Um lange Auseinandersetzungen zu um-gehen, hatte die Stadt zugesagt, dem Institut für den Ersatz von Galva-nometer und Tangentenbussolen 1.000 Mark zu bewilligen. Im Gegenzug verlangte die Stadt die Übergabe der alten Messgeräte, was schließlich im Dezember 1912 gelang. Sie sollten an die Marburger Schulen verteilt werden. Hierüber gab es interessante Auseinandersetzungen. Direktor Knabe (Oberrealschule) war mit der Verteilungsregelung der Spiegelgalvanometer nicht einverstanden. Er monierte: "Eine Bürgerschule kann diesen Apparat gar nicht gebrauchen und auch für das Lyzeum hat er wenig Wert." Lautemann entsprach dem Antrag und setzte daraufhin folgende Verteilung fest:
Zudem hatte er selbst die Straßenbahnwagenführer zur Rede gestellt. Daraufhin schrieb ihm Lautemann, er sollte die Führer nicht ansprechen, sondern an die Direktion schreiben, "die angesprochenen Leute würden unruhig und unsicher und könnte die Verantwortung etwaige dadurch vorkommende Betriebsunfälle nicht übernommen werden." Nach einer Reihe von Schriftstücken fasste die Betriebskommission "E" den Beschluss, dass Prof. Ostmann nicht mehr auf seine Beschwerden geantwortet werden sollte. Weiterhin gab es kleinere Vorfällen zu vermelden. Neben Zusammenstößen mit verbalen Auseinandersetzungen und Beschuldigungen beschwerte sich im November 1913 Dr. Schröder, dass er am Wilhelmsplatz 10 Minuten hatte warten müssen. Wagenführer Lau und Kontrolleur Schabrich werden als Zeugen benannt. Der Geheime Justizrat von Boxberger beklagte sich gegenüber dem Magistrat, dass ein Wagenführer sich ihm gegenüber in höchstem Maße bedenklich verhalten hätte. Er sei bezichtigt worden, nicht bezahlt zu haben. Obwohl er dies bestritten hatte, musste er noch einmal bezahlen. Einen solchen Vorwurf könnte er sich aufgrund seiner "dienstlich und gesellschaftlichen Stellung nicht gefallen lassen". Die Betriebskommission "E" beschloss, ihm die 10 Pfennige zurückzuzahlen und bat ihn, das "Vorgehen des Wagenführers Figge als Überei-fer im Dienst, wie es ja auch der Fall ist, zu betrachten und die Angelegenheit beizulegen". Die Auseinandersetzung eskalierte, da von Boxberger auf einer Entschuldigung bestand. Wagenführer Figge gab jedoch zu Protokoll, er hätte Herrn Amtsgerichtsrat von Boxberger, welcher ihm persönlich nicht bekannt war, bestimmt, aber höflich aufgefordert, den Fahrpreis von 10 Pfennigen zu entrichten. Es hätte ihm vollständig fern gelegen, den Herrn in irgendeiner Weise beleidigen zu wollen. Die missliche Angelegenheit verlief - zumindest der Aktenlage nach - anschließend in Sande. Es gab weitere Klagen über unhöfliches Benehmen der Führer den Fahrgästen gegenüber. Sie wurden in die Akten aufgenommen. So war es sehr bald notwendig geworden, zur Regelung von Streitigkeiten einen "Werkspolizisten" zu bestellen. Wilhelm Lülfing hatte sich beworben und wurde zum Kleinbahnpolizeibeamten bestellt mit folgendem überlieferten Amtseid: "Anwesend ist der Maschinenmeister Wilhelm Lülfing, 43 Jahre alt, evangelischer Religion, und wurde unter Hinweisung auf die ihm obliegenden Pflichten und die ihm bekannte Dienstinstruktion verpflichtet, indem er folgenden Eid ableistet:
Blick vom Heumarkt in die Barfüßerstraße, links im Bild der Straßenbahnwagenführer (ca. 1913/14). Diese Linie wurde mit Kriegsbeginn am 1. August 1914 eingestellt wegen Mangel an Wagenführern. (Foto: Presseamt Stadt Marburg) Kapitel 4Der Kriegsausbruch 1914 brachte für die Bahn eine ZäsurDie letzten Tage im Juli 1914 hatten die Auseinandersetzungen der europäischen Staaten den weitaus größten Teil der Deutschen wie elektrisiert. Eine große Unruhe verbreitete sich. Massen versammelten sich auf den Straßen. Begünstigt war die durch bestes Sommerwetter. Als dann am Samstag, 1. August, die Kriegserklärungen begannen, ging es wie ein Ruck durch das Deutsche Reich.In Berlin fanden noch am Samstag und am Morgen des Sonntag an die 2.000 Nothochzeiten statt. Mit dem Ausrufen der Mobilmachung veränderte sich alles. In ganz Europa hatten Anfang August etwa sechs Millionen Soldaten ihren Marschbefehl erhalten. 550 Züge bewegten sich jeden Tag über die Rheinbrücken gen Westen. In knapp zwei Wochen hatte man im Deutschen Reich eine halbe Million Soldaten für den Vormarsch zusammen gezogen. Der "Große Krieg" begann. Die Katastrophe sollte folgen, was jedoch kaum jemand im August 1914 ahnte. Sogar in der kleinen Stadt Marburg mit ihren 20.000 Einwohnern war die Einwohnerschaft aufgewühlt und bis weit nach Mitternacht unterwegs. Ein Bericht der OZ vom Tag vor der Mobilmachung - der Redakteur wusste noch nicht, dass am nächsten Tag tatsächlich der Krieg ausbrechen würde - bringt eine lebendige Darstellung des eigentlich Unfassbaren und deutet am Schluss die von den Jubelnden noch unbedachten Folgen an: Oberhessische Zeitung (Originalbericht): "In gespannter Erwartung. Gestern Abend durchschwirrten wieder allerhand sensationelle Gerüchte über eine angeordnete Mobilmachung usw. die Stadt. Die Folge war, dass bis in die Nachtstunden hinein eine gewaltige Menschenmenge in den Straßen hin- und herflutete, um die neuesten Telegramme abzuwarten. Dass es auch in den Gastwirtschaften wieder recht lebhaft zuging, ist selbstredend. Schließlich drängte dann die Erregung wieder viele auf die Straße und in spätester Nachtstunde kam es zu lärmenden Kundgebungen. Eine Anzahl Studenten hatte sich Musik verschafft und zogen damit durch die Straßen nach dem Marktplatz und nach dem Friedrichsplatz und schließlich wieder zurück nach dem Marktplatz. Es wurden flammende Reden gehalten und patriotische Lieder gesungen. Der Lärm und das Getöse wurden so arg, dass nicht nur die Bewohner der Innenstadt, sondern die weit draußen vor den Toren wohnenden Leute geweckt wurden und sich ebenfalls auf die Straße begaben. So kam es, dass die Menschenmenge in den Straßen immer mehr anschwoll. Vom Marktplatz aus, wo die Polizei der Musik Schluss bot, zogen viele nach dem Bahnhof, wo es wieder zu lärmenden Kundgebungen kam. Unter den Straßenpassanten befanden sich auch eine Menge Frauen und Mädchen. Erst gegen 3 Uhr verlief sich die Menge. Man kann den Ausdruck der Spannung, der in diesen Ereignissen liegt, sehr wohl verstehen, zumal allgemein angenommen wurde, nach "todsicheren Meldungen", dass gestern Abend noch die deutsche Mobilmachung bekannt gemacht würde. Die offiziellen Dementis, die noch in den Abendstunden verbreitet wurden, vermochten diesen Glauben nicht mehr zu erschüttern. Die Art, wie sich diese Spannung kundgibt, kann man aber leider nicht billigen. Die deutsche Mobilmachung, die nach allergrößter Wahrscheinlichkeit den allerschnellsten Ausbruch des Weltkrieges nach sich zieht, ist eine so ernste Sache, sowohl für das Volk, wie für den Einzelnen, dass bei dem Ernst der Zeiten eine würdige Haltung des Volkes auch ein erstes Erfordernis ist. Mag den Veranstaltern auch zunächst eine würdige Kundgebung vorgeschwebt haben, dem was schließlich daraus wurde, kann man dieses Prädikat nicht erteilen. Vorläufig ist auch die Mobilmachung noch gar nicht ausgesprochen und mancher, der sie im Hinblick auf die Seinen mit banger Sorge erwartet, wurde gestern Abend durch die Kundgebung in die Meinung versetzt, sie sei schon da. Die Verbreitung derartiger falscher Gerüchte ist aber im höchsten Grade zu bedauern, wegen der Folgen, die derartiger blinder Lärm in ersten Dingen haben muss." Aus den nachdenklichen letzten Zeilen des Berichterstatters wird deutlich, dass er ahnte, was den Jubelstürmen folgen würde. Der Krieg soll-te fast alles verändern. Daraus, wie es beispielsweise die Marburger Straßenbahn vom ersten Tag an betraf, lässt sich ablesen, welcher Einschnitt erfolgte. .... Straßenbahn vor dem Hauptbahnhof (ca. 1930-er Jahre) Foto: Sammlung Karl-Heinz Gimbel |