Homepage Karl-Heinz Gimbel
Startseite     Politisches     Marburg-Bilder     Weltreisen     aktuelle Reise-Bilder     Publikationen
Aus der Geschichte Marburgs     Ketzerbach-Homepage     Impressum     Links


Kleine Reihe von Marburg, Band 2:

Der historische Hirsefeldsteg
in Marburg an der Lahn, 1913 - 2010





Verkaufspreis: 4,00 Euro

56 Seiten, Format DIN A5, 20 Abbildungen



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 - Errichtung des Hirsefeldsteges im Jahr 1913

Baujahr des Steges war in Vergessenheit geraten - Bauherr war der Marburger Spar- und Bauverein e.G.m.b.H. - Der Steg über die Lahn wurde zügig gebaut

Kapitel 2 - Familie Hensel

"Gertrud-Hensel-Stiftung" - Geheimrat Professor Dr. Kurt Hensel - Die Vorfahren der Familie Hensel - Gründung einer Stiftung - Das Ziel "Errichtung eines Volksparks" wird nicht erreicht

Kapitel 3 - Verlängerung des Steges 1924 zum Trojedamm hin

Stärkere Nutzung des Steges bringt Verschleiß - Der Bestand des Steges ist in Gefahr - Verlängerung für den Akademischen Olympia 1924

Kapitel 4 - Der Steg ist immer wieder reparaturanfällig

Pfeilererneuerungen und Balkenaustausch - "Hensel-Steg" wird als offizieller Name vorgeschlagen - schwierige Kriegs- und Nachkriegsjahre - Der Holzpfeiler wird 1947 durch einen Betonsockel ersetzt - Umfassende Erneuerung im September 1950 - Stufenlose Auffahrt ersetzt Treppenstufen

Kapitel 5 - Diskussionen um Abriss und Neubau Betonbrücke wird vorgeschlagen als Ersatz

Die Bezeichnung "Hirsefeldsteg" wird offiziell - Eine Radfahrer-Lobby wird für den Abriss des Steges und einen Neubau aktiv

Kapitel 6 - 2006 wird der Steg Kulturdenkmal

Dennoch Abriss Bürgerversammlung im Jahr 1998 - 2006 wird der Hirsefeldsteg Kulturdenkmal

Anhang
Kurzhistorie der vier Marburger Lahnstege - Die Geschichte der Holzstege war bisher ungeschrieben - Marburg dehnt sich aus - Der Schülerparksteg - Der Gaswerksteg - Der Pioniersteg - Der Name "Schwarzer Steg" ist historisch besetzt

Literaturverzeichnis und Fotonachweise


Textproben



Vorwort zur 1. und 2. Auflage Im Herbst 2009 wurden in Marburg zwischen dem Universitätssta-dion und der Straße "Auf der Weide" Fundamente gegossen für einen seit 1998 geplanten neuen Steg aus Beton und Eisen. Der Neubau sollte an die Stelle des historischen Holzsteges treten. Damit war der Kampf der zahlreichen Marburger Bürgerinnen und Bürger, die den alten Hirsefeldsteg in ihr Herz geschlossen hatten und das Kulturdenkmal erhalten wollten, zwecklos geworden.

Der Entschluss des Autors, die Geschichte des Holzstegs zu erforschen und in einer Broschüre zu dokumentieren, fand unerwartet großen Widerhall. Eine zweite Auflage wurde notwendig. In den Akten hatte der Autor Neues gefunden und Verschüttetes wieder ausgegraben.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Forschungsergeb-nisse die notwendigen Korrekturen zu bisherigen unrichtigen offi-ziellen Angaben zum Hirsefeldsteg nach sich ziehen werden: Bau-jahr, Bauherr, Finanzierung und die Angabe, der Steg sei von Pio-nieren erbaut worden, sind davon betroffen.

Der Steg wird nach Abriss in die unrühmliche "Liste der zerstörten Denkmäler von Marburg" aufgenommen werden müssen. Ambition dieser kleinen Schrift ist es, die Erinnerung an den letzten der einstmals vier alten Holzstege über die Lahn in Marburg zu erhal-ten.

Nach Erscheinen der 1. Auflage gab es viele Kontakte mit Zeitzeugen. Sie zeigten nicht nur das Interesse, sondern konnten auch zu kleineren Ergänzungen des Textes beitragen.

Zugunsten einer flüssigeren Lesbarkeit ist in den einzelnen Kapi-teln auf die Quellenangabe der Zitate und Bezugsorte der Informa-tionen sowie auf Fußnoten verzichtet worden. Die Quellen sind am Ende des Bandes gebündelt aufgeführt.

Der Dank des Autors gilt einer Reihe Mitarbeitern in den Ämtern, die auf die zahlreichen Nachfragen bereitwillig eingegangen waren und die Dokumentation der Forschungen unterstützten.

Marburg, im Jahre 2010

Der Autor




Kapitel 1

Die Errichtung des Hirsefeldsteges im Jahr 1913
Das Baujahr des Steges war in Vergessenheit geraten

Seit Jahrzehnten wurde in den offiziellen Mitteilungen des Magist-rats und der Ämter der Stadt Marburg sowie in den Berichten der lokalen Presse jeweils als Baujahr des Hirsefeldsteges das Jahr 1920 angegeben. Ebenso wurden in historischen Marburger Bild-bänden für Fotos des Hirsefelds mit Oberstadt und Schloss, auf denen der Hirsefeldsteg noch nicht erbaut ist, Jahreszahlen zwischen 1915 und 1920 genannt.
  • "Den Holzsteg über die Lahn zwischen Weide und Hirsenfeld hat Unter nehmer W. Münscher für den Spar- und Bauverein im Jahr 1913 gebaut. Die Kosten haben 8500 Mark betragen, wozu die Stadt Marburg 2000 Mark gegeben hat."
    (Quelle: Stadtarchiv Marburg [StadtA], Bestand 330, H 435, Blatt 211)
Der abgedruckte Vermerk aus den Bauamtsakten gibt kurz und präzise Auskunft über die Errichtung des Hirsefeldsteges. Niedergeschrieben wurde der Vermerk vom Stadtoberbausekretär Leukel am 14. September 1920. Veranlasst wurde die Notiz offenbar von Stadtbaurat Köster, der neben Leukel die Notiz unterschrieb.

Mit diesem Vermerk ist das über Jahrzehnte immer wieder ange-gebene "Baujahr 1920" für den Hirsefeldsteg Legende und eine Korrektur unvermeidlich. Eine Aufklärung, wie es dazu kam, dass von der Stadt Marburg eine falsche Jahresangabe für den Stegbau der Öffentlichkeit weitergegeben wurde, dürfte kaum gelingen. Blättert man in den Akten zurück, so kommt es schon im Jahr 1950 zu einer nicht korrekten Zeitangabe für den Bau der Brücke.

Als im Jahr 1950 umfangreiche Reparaturarbeiten am Hirsefeldsteg unternommen werden mussten, hieß es in dem Bericht der "Marburger Presse" vom 30. September (vgl. S. 35), dass die Er-neuerungsarbeiten zu dem "nach dem 1. Weltkrieg" errichteten Steg beendet seien. Herausgeber der Zeitung war Hermann Bauer, ein anerkannter Zeitungsmann mit großem lokalhistorischen Wissen. Der kurze Bericht dürfte wahrscheinlich sogar von Hermann Bauer selbst verfasst worden sein. Warum ihm dieser Feh-ler unterlief, muss unbeantwortet bleiben. Die falsche Aussage jedoch blieb den Marburgern erhalten.

Der Verlust des tatsächlichen Baudatums bereits nach knapp vierzig Jahren kann als ein Tribut an die Wirren der Zeitläufe gewertet werden: der 1. Weltkrieg, die Notzeiten der 20er Jahre, die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, der 2. Weltkrieg und vor allem die Mangeljahre nach 1945 waren nicht spurlos geblieben. Die Marburger und die Angestellten in den Ämtern hatten offenbar andere Sorgen als die Suche nach korrekten Jahreszahlen.



Ansichtskarte von 1900: Blick von der Bismarckpromenade auf die verschneite Stadt.
Der "Kleine Kämpfrasen" (heute: Weide) ist noch unbebaut.
Selbst das Grüner Wehr liegt im Eis. (Sammlung Karl-Heinz Gimbel)


Marburger Spar- und Bauverein war Bauherr

Die Idee, einen Steg über die Lahn zwischen dem "Kleinen Kämpfrasen" (heute: "Auf der Weide") und dem Hirsefeld zu errichten, dürfte Anfang 1912 entstanden sein. Auf der kleinen Insel, südlich des Grüner Wehrs gelegen, hatte die Stadt Marburg nach 1900 begonnen, den Bauhof zu errichten. Dieser war vorher in der Straße "Am Grün" angesiedelt gewesen. Aber schon bald gab es in der Bevölkerung Bestrebungen, den Bauhof wieder zu verlegen. Den 1868 gegründeten Marburger Verschönerungsverein störten insbesondere - beim damals noch freien Blick von der Bismarckpromenade auf die Altstadt - die Bauhofbaracken auf der Lahninsel. Es sei doch besser, wenn dort statt des Bauhofs eine Grünanlage entstehen würde. Ein Universitäts-Spielplatz und ein Militär-Bad waren bereits auf der Insel angesiedelt.

Die Idee eines Jugendspielplatzes und eines Volksgartens war von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates des Marburger Spar- und Bauvereins e.G.m.b.H., Professor Dr. Friedrich André, geradezu enthusiastisch aufgenommen worden. Professor André, eini-ge Jahre zuvor von Berlin nach Marburg gekommen, hatte sich umgehend lokalpolitisch in der Stadt engagiert. So hatte der Professor der Rechte schon in den Jahren 1902 bis 1904 federführend für den akademischen Lehrkörper der Philipps-Universität tatkräftig die Errichtung des Bismarckturms vorangetrieben.

Vor seiner Tätigkeit in Marburg hatte er schon in Berlin und Göt-tingen Baugenossenschaften ins Leben gerufen und geleitet. Er sah sich aufgrund seiner engagierten sozialen Einstellung veran-lasst, dazu beizutragen, auch die Wohnverhältnisse in Marburg besser zu gestalten. Den Gründungsaufruf des "Spar- und Bauvereins, Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht" wird er nicht unwesentlich beeinflusst haben. Auf der Gründungsversammlung des Vereins am 12. Februar 1907 wurde André von den 107 An-wesenden zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt. In der Folgezeit wurde von dem Verein mit großem Erfolg das Ziel verfolgt, hauptsächlich Familien mit bescheidenem Einkommen billige und gesunde Wohnungen zu schaffen.

Der Marburger Spar- und Bauverein begann mit seinen Wohnbau-ten im Afföller und war nach 1910 an Entwicklungen im Bereich des Ortenbergs und im Südviertel beteiligt. Die Erinnerung daran, dass sich der Verein neben dem Ziel der Errichtung von günstigem Wohnraum in Marburg auch eingesetzt hatte für einen Erho-lungs- und Jugendspielplatz, war jedoch dem Verein verloren gegangen. Sämtliche Akten waren im Jahr 1945 durch Kriegsschäden beim Brand des Vereinsbüros im Afföller zerstört worden.

Zugleich mit dem Wunsch eines Volksparks war die Idee entstanden, als Zugang zu dem Park von Osten her einen Steg über die Lahn zu errichten. Jenseits der Lahn lag das noch unbebaute Hirsenfeld (ab etwa 1924 "Hirsefeld" genannt). Um einen kürzeren Zugang für die Bewohner von Weidenhausen zu dem geplanten Steg und dem Volkspark auf der Weide zu schaffen, sollte zusätzlich ein Zugangsweg entlang der Lahn sowie eine Wegeverbindung zur Cappeler Straße (Bahnübergang) geschaffen werden. Abb.: Gesamtansicht des Hirsefeldsteges (Foto 2008)

Für die Vollendung dieser Ideen fand sich mit Professor Dr. Kurt Hensel ein vermögender Spender. Hensel war von der Idee begeistert, für die Marburger Bevölkerung einen Jugendspielplatz und einen Volksgarten ("wertvollen Spiel- und Schmuckplatz") zu errichten. Er wollte die Idee verwirklicht sehen und begründete mit seiner Frau am 9. Mai 1912 eine Stiftung, die "Gertrud-Hensel-Stiftung". Mit dem Spendenbetrag von 25.000 Mark sollte der Volkspark erstellt und auch die Unterhaltung der Anlagen auf Jahrzehnte gesichert werden.

Der Steg über die Lahn wurde zügig gebaut

Geheimrat Hensel übergab gemäß der Stiftungsurkunde die stattliche Spendensumme dem Marburger Spar- und Bauverein. Mit Hilfe dieses Vereins sollten die Projekte Volkspark und Lahnsteg verwirklicht werden. Aufsichtsratsvorsitzender Professor Dr. André, mit der Familie Hensel gut bekannt, richtete daraufhin am 10. Mai 1912 - unmittelbar nach Unterzeichnung der Stiftungsurkunde - folgendes Schreiben an Oberbürgermeister Troje:
  • "Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!

    Wie ich mir bereits erlaubte Ihnen mündlich mitzuteilen und wie inzwischen in der Zeitung bekannt gegeben ist, haben Herr und Frau Geheim-rat Hensel dem Marburger Spar- und Bauverein ein Kapital von 25.000 Mark zur Verfügung gestellt um in Marburg einen Jugendspielplatz und einen Volksgarten einzurichten und zu unterhalten.

    Zu meiner Freude kann ich heute hinzufügen, dass Herr Professor Dr. Paul Meyer zur Förderung der Zwecke der Hensel-Stiftung dem Bauverein seinerseits 500 Mark überwiesen hat. Es erscheint mir das als ein erfreuliches Zeichen dafür, dass der Gedanke werbende Kraft hat.

    Die Stifter und der Spar- und Bauverein haben nun in Aussicht genommen, wenn die Stadtverwaltung zustimmt, den Spielplatz und Volksgar-ten auf der städtischen Lahninsel einzurichten und zwar so, dass die ganze Anlage auf Kosten der Stiftung hergestellt und auch ein Kapital reserviert wird um die Anlage unterhalten zu können. Der Stadt würden also keinerlei Unkosten erwachsen und sie würde in den Besitz eines wertvollen Spiel- und Schmuckplatzes mit einer Halle kommen; auch würde die Herstellung eines Weges von der Lahninsel nach dem Weidenhäuser Ufer angestrebt werden, um auch den Einwohnern von Weidenhausen die Anlage zugänglich zu machen und umgekehrt das Weidenhäuser Gebiet zu erschließen. Wir geben uns der Hoffnung hin, dass die Stadt Marburg uns in der Weise bei Durchführung des Unternehmens unterstützen wird, dass sie dem Spar- und Bauverein den in Betracht kommenden Teil der Lahninsel auf 30 Jahre zu einem geringfügigen Preise verpachten wird. Wir bitten darüber mit uns in Verhandlung zu treten. Wir bitten auch, dass die Stadtverwaltung uns bei der Ausführung mit ihrem Rate unterstützt; unsererseits werden wir gerne den Wünschen der Stadtverwaltung hinsichtlich der Ausführung Rechnung tragen.

    Mit ausgezeichneter Hochachtung
    ergebenst
    gez. Dr. Fr. André
    Vorsitzender des Aufsichtsrats des Spar- und Bauvereins"

    Nachschrift. Soeben hatte ich Gelegenheit, mit Herrn Gutsbesitzer Edu-ard Hoffmann wegen der Überführung des Steges von der Lahninsel auf sein Gelände zu sprechen. Herr Hoffmann ist bereit, die Überführung des Steges von der Lahninsel auf die nördliche Spitze des ihm gehörigen Hirsenfeldes zu genehmigen. Er ist auch bereit damit der Weg gerade gelegt werden kann, zu gestatten, dass der Weg dann über das Hirsenfeld auf die westliche Spitze des Löchel´chen Grundstücks in den dort befindlichen Weg hineingeführt wird. Endlich will er, um das gemeinnützige Unternehmen zu fördern, dem Spar- und Bauverein das am Hirsen-feld auf diese Weise abzuschneidende Stück Land unentgeltlich abtre-ten. Es können also auch noch Bäume gepflanzt und Anlagen hergerichtet werden."
Oberbürgermeister Troje wurde umgehend tätig. Bereits am nächsten Tag traf er sich mit Vertretern der Antragsteller und notierte am 11. Mai 1912:

"Besprechung mit Kurator u. Prof. André fand an Ort und Stelle statt. Gewünscht wird, die Stadt soll der Universität einen Teil ihres Bauhofs zur Arrondierung der Universitäts-Spielplätze zur Verfügung stellen gegen übliche Pacht, außerdem die Abbruchskosten für den Schuppen für etwa 2000 M. erhalten. Ferner soll die Stadt der Baugenossenschaft für die Hensel-Stiftung den Rest der Barschaft zur Verfügung stellen für die Jugendpflege, der Anbau kann stehen bleiben und An- und Auskleideräume erhalten."

Anfangs stieß die Errichtung eines neuen Steges über die Lahn mit dem als Bauherren vorgesehenen Marburger Spar- und Bauverein bei Oberbürgermeister Troje nicht auf volle Zustimmung. Am 20. Mai 1912 legt Troje in einer Notiz dar, dass er Bedenken habe, dass Gelder der Stiftung für die Anlage eines Weges und den Bau eines Steges verwandt würden. Doch es dürfte vor allem Prof. Dr. André gewesen sein, der nicht nur - wie er bereits in seinem Schreiben an Oberbürgermeister Troje festlegte - aus dem Stiftungskapital die Gelder für den Steg herausnehmen, sondern auch die Bedenken der Stadt ausräumen konnte.

Ab dem Herbst 1912 stand der Errichtung des neuen Steges über die Lahn nichts mehr im Wege. Wohl auf Antrag des Spar- und Bauvereins wurde Professor Dr. André am 2. Oktober 1912 mitgeteilt, dass dem beim städtischen Bauamt beschäftigten Techniker Kummer die Bearbeitung des Projekts eines Steges über die Lahn als Nebenbeschäftigung genehmigt sei. Der Magistrat fügte allerdings hinzu: "Eine besondere Beurlaubung hierfür war leider nicht angängig, da die Arbeiten des städtischen Bauamts zu sehr an-gewachsen sind."



Aufnahme des neu erbauten Steges ca. 1917 (Foto Marburg)


Nur wenige Tage später ging beim Bauamt der offizielle Antrag ein:
  • "Der Marburger Spar- und Bauverein e.G.m.b.H. zu Marburg beabsichtigt einen Fußsteg über die Lahn zwischen dem Städtischen Bauhof und Hirsenfeld zu errichten. Die Lagepläne nebst Zeichnungen in 3-facher Ausfertigung und statischer Berechnung sind beigefügt. Wir bitten dringend um recht baldige Genehmigung.
    Mit vorzüglicher Hochachtung
    Der Vorstand
    gez. Arnold Reissert gez. August Krebs"
Am 23.10.1912 beschäftigte sich die Baukommission auf ihrer Sitzung mit dem Projekt. Protokollführer Leukel vermerkte: "Anwesend die Herren Reissert, Volland, Reising, Kühn, Leukel. Die Bauk. ist mit dem Projekt einverstanden, Herr Professor Reissert hat sich der Abstimmung enthalten." Der Magistrat genehmigte am 25.10.1912 den gestellten Antrag.

Im Januar 1913 müssen nicht nur die Baupläne, sondern auch die finanziellen Aspekte durch Einholung von Kostenanschlägen so weit gediehen sein, dass der Marburger Spar- und Bauverein für den Stegbau zwar die Stiftungsmittel einsetzen wollte, aber gleichzeitig an die Stadt herantrat, den Bau des Steges finanziell zu unterstützen.

In einem Schreiben des Marburger Bau- und Sparvereins vom 12. Januar 1913 hieß es:
  • "An den Hochwohllöblichen Magistrat der Stadt Marburg
    Der Marburger Spar- und Bauverein e.G.m.b.H. beabsichtigt einen Fussgängersteg in der Breite von 1 m. 50 cm. mit feststehenden Beton-Pfeilern, sowie Rampen zum bequemen Aufgang über den Steg, über die Lahn zwischen dem Städtischen Bauhof und dem Hirsenfeld zu er-richten. Die Bau- und Lagepläne sind unterm 21.12.12 dem Städtischen Bauamt eingereicht und haben inzwischen den behördlichen Instanzen vorgele-gen. Zur Zeit liegt das Projekt dem Hochwohllöblichen Magistrat zur Genehmigung vor.
    Der Zweck, der mit dem Bau des Steges verfolgt wird, ist, bequeme, gesunde Ruhe- und auch Schmuckanlagen und Spielplätze im Weichbil-de der Stadt, besonders für ältere Personen sowie Genesender, die Jugend aus den Mitteln der "Gertrud-Hensel-Stiftung" zu schaffen.
    Wie wohl dem Magistrat bekannt sein dürfte, soll der Zugang zu dem Steg über den jetzigen Bauhof, die Weide, gehen. Links von dem Steg und dem Wehr der Lahn soll dem Lahnufer entlang durch Aufschüttung, Planieren und Anpflanzen von Schatten spenden-den Bäumen, sowie Aufstellung von Sitzbänken, ein schöner Platz neben dem Wasser für Genesende und ältere Leute, der einen herrlichen Blick bieten wird, geschaffen werden. Jenseits der Lahn auf dem Hirsenfeld - also dem linken Lahnufer -, sollen in beträchtlicher Größe mehrere Volks- und Jugendspielplätze und daneben mehrere Tennis-Plätze p. p. für die Universität geschaffen werden.
    Der Steg wird in der projektierten Ausführung dauerhaft und bequem hergestellt und wird einen vielbenutzten, verkürzten Verbindungsweg über Weidenhausen nach den dahinter liegenden Ausflugsorten darstellen. Die Summen, die zur Ausführung der Erholung-, Spiel und Verschönerungsanlagen zur Verfügung stehen, sind soweit begrenzt, dass sie zum Bau eines dauerhaften und architektonisch schönen Steges nicht mehr ganz ausreichen. Der Bau des Steges, dessen Kosten, genau veranschlagt und geprüft sind, betragen rd. 8000 M. Es stehen aber bei feststehender Berechnung nach Ausführung der oben angeführten Anlagen, aus den Mitteln der Stifter, etwa nur noch 4000 M. zum Bau des Steges zur Verfügung.
    Wir bitten den Hochwohllöblichen Magistrat in Anbetracht der ganzen Sache, die doch nur der Stadt zu gute kommt und ihr zur Verschönerung gereicht, uns eine Beihilfe von "4.000 M." zum Stegbau zu gewähren. Mit vorzüglicher Hochachtung
    Der Vorstand des Marburger Spar- und Bauvereins e.G.m.b.H.
    Dr. Arnold Reissert Aug. Krebs"
Bereits am 17. Januar 1913 beschloss daraufhin der Magistrat, dass im Titel No. 1480 als Beihilfe 2.000 M. in den außerordentlichen Etat eingestellt werden sollten. Die Stadtverordnetenver-sammlung behandelte die Magistratsvorlage am 13. März ebenfalls sehr wohlwollend und stimmte in der darauf folgenden Sit-zung am 28. April dem Etatansatz zu.



Blick über den Steg ca. 1968 (Foto Sammlung Karl-Heinz Gimbel)


Noch im Februar wurden rechtliche Fragen wie Haftung, Regelung von Schäden usw. geklärt. Der Vorstand des Marburger Spar- und Bauvereins übermittelte am 14. Februar 1913 der Stadt eine angeforderte Verpflichtungsurkunde mit folgendem Wortlaut:
  • "Der Marburger Spar- und Bauverein e.G.m.b.H. zu Marburg übernimmt hiermit die Verpflichtung, alle für die Folge von der Wasserbaupolizeibehörde im öffentlichen Interesse für erforderlich erachteten Änderungen der Anlage sofort auszuführen, und für alle Schäden, die durch dieAnlage verursacht werden, die Haftung."
    Die Urkunde hat noch einen Zusatz:
    "Sobald die Stadt Marburg den Steg (Anlage) übernimmt, in die oben bezeichneten Verpflichtung- bzw. Haftung eintritt."
Hier wurde bereits angedeutet, dass in den beiderseitigen Verhandlungen zur Sprache kam, dass Professor Dr. Hensel seine Stiftung binnen weniger Jahre der Stadt Marburg in Gänze übereignen wollte und damit auch der Steg in das Eigentum der Stadt übergehen werde.

Über das Auswahlverfahren des Marburger Spar- und Bauvereins, welche Firma den Stegbau durchführen sollte, liegen keine Unterlagen vor. Das Verfahren muss jedoch zügig vorangeschritten sein, denn eine Aktennotiz besagt, dass der Bauunternehmer W. Münscher am 3. Juli 1913 der Stadt mitteilte, er "habe heute mit den Arbeiten für den Steg über die Lahn" begonnen.

Diese Mitteilung musste das Bauamt überrascht haben. Am 7. Juli 1913 schrieb das Bauamt an den Marburger Spar- und Bauverein:
  • "Wie uns der Bauunternehmer Münscher mitteilt hat er mit dem Bau des Steges über die Lahn beim Hirsenfeld begonnen. Da der Steg nach dem Beschlusse des Magistrats unter Aufsicht des Stadtbauamts erfolgen soll ersuchen wir um gefällige Überlassung des mit Fa. Münscher abgeschlos- senen Vertrags auf kurze Zeit.
    Stadtbauamt"
    (Quelle: StadtA, Bestand 330, H 435, Blatt 23)
Zwei Wochen später übersandte der Marburger Spar- und Bau-verein an das Bauamt "ergebenst eine Abschrift des gewünschten Vertrags wie auch einen Kostenanschlag". Und bereits zwei Monaten später - Ende August 1913 - war der Steg fertig gestellt. In der lokalen Presse findet sich über die Fertigstellung keine Meldung. Einzig berichtete die "Oberhessische Zeitung" am Dienstag, 16. September 1913, ausführlich über eine Stadtverordnetensitzung mit einem kurzen Bezug zum Stegbau. Darin wurde in einem Abschnitt der Beschluss notiert, dass der Zugangsweg zu einem vom Spar- und Bauverein anzulegenden Steg über das Gelände des Bauhofs freigegeben werden soll. Auch in der von Wilhelm Kessler erstellten "Geschichte der Stadt Marburg in Daten und Stichworten", Marburg 1984, findet der Hirsefeldsteg keine Erwähnung. Die Erstellung des im Jahr 1908 in wesentlich schlichterer Bauweise errichteten Stroinskysteges ist aufgeführt. Er war von der Stadt erstellt worden.

Genauere Angaben über die Errichtung des Hirsefeldsteges sind nicht vorhanden, da auch die Bauakten der Firma Münscher aus den Jahren vor dem 1. Weltkrieg nicht mehr erhalten sind. Akten zum Unterhalt und zu den Reparaturen des Steges finden sich bei den Unterlagen der Stadt Marburg erst ab den Jahren, nachdem der Steg in das Eigentum der Stadt übergegangen war.




... ...