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Titelblatt




Kleine Reihe von Marburg, Band 9:

Marburg im 2. Weltkrieg

Kriegsgeschehen 1939-1945 aus Tagebüchern


Als Broschüre im Buchhandel mit dem Verkaufspreis von 7,50 Euro:
90 Seiten, Format DIN A5, viele Abbildungen



Hier zwei Auschnitte aus dem Buch:

Vorwort

Das Ende des 2. Weltkriegs liegt über siebzig Jahre zurück. Am 28. März 1945 besetzten die Amerikaner Marburg. Als ihre Panzer von Süden her in die Stadt einfuhren, saßen die Bürger ohne jede Information über die kommenden Ereignisse in den Luftschutzkellern. Kommt man ins Gespräch mit älteren Mitbürgern, die den Krieg in Marburg miterlebt haben, so sind die Erinnerungen an die Kriegszeit, an die letzten Jahre bis 1945 e rstaunlich gegenwärtig und zahlreich.

Eine erste kurze Darstellung der Forschungen hat der Autor am 6. August 2016 im Internet in "www.myheimat.de/marburg" veröffentlicht. Die ungewöhnlich hohe Zahl von bisher über 5.000 Lesern zeigt ein außerordentliches Interesse an den Marburger Kriegsereignissen. Die Kriegszeit hat Zeitgenossen geprägt. Das gilt auch, wenn Marburg glücklicherweise nicht in direkte Kriegshandlungen einbezogen wurde und nicht Totalschäden erleiden musste wie die Nachbarstädte Gießen und Kassel.

Ein Anspruch dieses Buches ist es, die oft geäußerte Meinung zu berichtigen, dass Marburg im 2. Weltkrieg unzerstört geblieben sei. Neben zeitgenössischen Berichten legen eine große Anzahl von Fotos Zeugnis für die Zerstörungen ab. Glücklicherweise wurde die Oberstadt mit ihren historischen Fachwerkhäusern, ebenso Weidenhausen, das Südviertel und Ockershausen nur mit wenigen Einschlägen betroffen. Umso mehr mussten die Bewohner im Nordviertel leiden: das Gebiet um den Hauptbahnhof mitsamt Ortenberg, Afföller, Bahnhofstraße bis zum Wehrdaer Weg und die Straßen rund um das Kliniksviertel. Der Autor selbst hat noch eine Reihe von Erinnerungen an die Luftangriffe. Sie fließen im Gleichklang mit Erinnerungen anderer Marburger in die Darstellungen mit ein.

Eine weitere Aufgabe des Buches soll darin bestehen, zusätzlich zu den konkreten Kriegsereignissen die internen, streng geheim gehaltenen Kenntnisse zu veröffentlichen, welche die Partei und die Stadtverwaltung besaßen und zum Handeln brachte. Diese Informationen waren in der Nachkriegszeit nicht zugänglich. Die im Buch als "Herrschaftswissen" bezeichneten Angaben ver-mitteln ein differenziertes Bild der Kriegsjahre.

Erstmalig ist in diesem Buch der gesamte Ablauf des Krieges in Marburg dargestellt. Bisherige Darstellungen aus Marburg zum 2. Weltkrieg behandeln Einzelereignisse. Hierbei geschieht oft keine Abgrenzung zwischen Berichten der Zeitzeugen und nachträglich aus Akten gewonnenen Daten. In dem Buch wird bewusst klar unterschieden zwischen den Erlebnissen der Bürger einer-seits und dem Wissen und Handeln hinter verschlossenen Türen andererseits.

Grundlage der Beschreibung der Marburger Kriegsereignisse bildet das Ta-gebuch des Wehrdaer Lehrers Georg Trübestein. Das Dorf Wehrda liegt direkt an der Besiedlungsgrenze von Marburg und war im Mittelalter eines der Marburger "Hausdörfer". 1971 wurde Wehrda zu Marburg eingemeindet. Auf über hundert mit einer Schreibmaschine eng beschriebenen Seiten hatte Trü-bestein meist Tag für Tag die Kriegsereignisse festgehalten. Zur Vervollständigung der zeitgenössischen Berichterstattung wurden hinzugezogen die Tagebuchaufzeichnungen von Friedrich Kellner, einem Beamten aus Laubach (Kreis Gießen). Der Justizinspektor, erklärter Gegner der NSDAP, entlarvte von Kriegsbeginn an die jeweils von Berlin ausgegebenen Parteiparolen. Von Berufs wegen konnte er - auch oft zufällig - weit mehr Informationen erhalten als der Wehrdaer Lehrer Trübestein. Beide Chronisten mussten ihre Aufzeichnungen geheim halten. Die Entdeckung der Notizen hätte unweigerlich zur Verurteilung geführt.

Es ist Absicht, den Leser möglichst tief in die Verhältnisse der damaligen Zeit hineinzuversetzen. Im Krieg fehlte den normalen Bürgern die Möglichkeit zur Objektivität. Nachprüfung von Meldungen auf Wahrheitsgehalt war nicht möglich. Anwendung der Kriterien der heutigen Zeit und Berücksichtigung des heutigen Zeitgeistes würden ein Verständnis der Abläufe verhindern. Dem Leser dieses Buches wird zugemutet, einzutauchen in die Maßstäbe des "Dritten Reiches". Aus diesem Grund sind sämtliche der damals gebräuchlichen Begriffe und Namen so belassen wie sie zur Zeit des "Dritten Reichs" benutzt wurden. Eine Umwandlung der damaligen Straßennamen usw. in heutige Bezeichnungen ist im Anhang vorgenommen.

Im Buch ist das Wissen um die Ereignisse aus Sicht der normalen Bürger beschrieben. Leider fehlt bis heute eine Darstellung von Marburgern, die im Krieg "Herrschaftswissen" besaßen, auch nicht aus Kreisen der Nachfahren, der Söhne und Töchter.

Etwa die Hälfte der Marburger hatte 1933 der NSDAP ihre Stimme gegeben. Bald mussten alle jubeln, mit "Heil Hitler" grüßen und jeder musste an den vielen angekündigten Terminen die Parteiflagge aus dem Fenster hängen. Keiner konnte sich ausschließen. Oder er wurde weggesperrt. Die Partei wollte die totale Herrschaft. Wie groß der Anteil der Marburger zu Beginn des Krieges war, die bedingungslos Anhänger der Partei waren und Hitler in den Krieg folgen wollten, ist nicht bekannt. Bis Kriegsende gab es Marburger, die noch immer den Parolen vom Endsieg Glauben schenkten. Und leider waren es nach Kriegsende noch zu viele, die, einmal fanatisch der Partei ergeben, noch Jahre später rechten Nachfolgeparteien ihre Stimme gaben.

Die in dem Buch dargestellten Erinnerungen an die Kriegszeit 1939 bis 1945 sollten eine Mahnung sein, dass Ereignisse dieser Art nicht wieder geschehen werden.

Marburg im Januar 2020 - Der Autor


...


Das Kriegsjahr 1940

Die Ernte 1939 war befriedigend eingefahren worden, notiert Trübestein. War das Lahntal danach im November 1939 noch weit überflutet worden mit ent-sprechend kleineren Schäden (auf dem Sportplatz in Wehrda stand das Wasser einen Meter hoch, "so hoch wie noch nie"), so gab es zu Jahresanfang 1940 strengen Frost, Ende Februar bis minus 24 Grad Celsius. Vom 8. Janu-ar bis 5. März fand aus Kohlemangel kein Unterricht an den Schulen statt. Zum Kriegsalltag gehörten die jeweils in der Zeitung angekündigten Samm-lungen für das Kriegswinterhilfswerk, beispielsweise für den Reichsluftschutzbund. Für den Führergeburtstag sollte es eine Altmetallspende geben. Bei Abgabe von Altmetall erhielt der freiwillige Spender eine Urkunde mit Unter-schrift des Führers. Im September 1940 wurde die 2. Kriegskleiderkarte aus-gegeben.

...

Zum Umgang mit Kriegsgefangenen wurden klare Regeln definiert. Unter dem Titel "Volksschädlinge am Pranger" hatte im Oktober 1940 der Berliner Staatsekretär Freisler Richtlinien verfasst. Schon deutlich war zu erkennen, welche Rolle der Jurist später bei Kriegsgerichtsverfahren spielen sollte und wie seine Ausführungen lauten würden.

Auszug aus den Vorschriften der Verordnung und ihrer Auslegung (aus Oberhessische Zeitung): "Wer vorsätzlich gegen eine zur Regelung des Umgangs mit Kriegsgefangenen erlassene Vorschrift verstößt oder sonst mit einem Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegt, die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt, wird mit Gefängnis, in schwereren Fällen mit Zuchthaus bestraft. …

Im allgemeinen sind nicht böser Wille und verbrecherische Absicht, sondern eine reine - allerdings unverzeihliche - Gedankenlosigkeit und Gutmütigkeit die Triebfeder für Verstöße …

Wer wollte und könnte bei seinem Verhalten gegenüber einem polnischen Kriegsgefangenen etwa vergessen, dass dieser Angehörige eines Volkes ist, das 60.000 Volksdeutsche bestialisch ermordet, deutsche Frauen und Mütter geschändet und verwundeten deutschen Soldaten die Leiber aufgeschnitten oder die Augen ausgestochen hat! Der Einwand: "Was kann denn der einzel-ne Gefangene dafür?" ist genau so töricht wie das Märchen von dem "anständigen Juden", der "ja auch ein Mensch" sei. …

Der Deutsche ist bekannt für seine Ritterlichkeit. … Wir machen uns auch nicht die Terrorakte und Grausamkeiten zu eigen, denen unsere gefangenen Soldaten nicht nur von seiten polnischer Untermenschen, sondern auch in Frankreich und England ausgesetzt worden sind. Wir dürfen aber bei aller Achtung vor einem Kriegsgefangenen, der sein Land als tapferer, aufrechter Soldat verteidigt hat, nicht vergessen, dass er unser Gegner war und bleibt. …"

Es sollte keine Kontaktaufnahme mit Kriegsgefangenen geben. Abschreckend sollte die Veröffentlichung eines Urteils sein, das am 4. Oktober 1940 unter der fast täglich gebrachten Rubrik "Aus dem Gerichtssaal" in der Oberhessi-schen Zeitung abgedruckt wurde. Ein "hiesiger Mann" hätte sich am Zaun eines Gefangenenlagers aufgehalten und dort Kriegsgefangenen angesprochen mit: "Guten Morgen! Was arbeiten Sie heute?" An einem anderen Tage hätte er sich von einem Kriegsgefangenen verabschiedet mit den Worten: "Machs gut!" Diese und andere Anklagen führten zu dem Urteil: Drei Monate und zwei Wochen Gefängnis.

Sehr oft wurde in der Oberhessische Zeitung Gebrauch gemacht von der Veröffentlichung von Gerichtsurteilen aus dem Reichsgebiet, die als abschreckende Beispiele wiedergegeben wurden: Wegen Abhörens ausländischer Sender und fortwährender Verbreitung von Lügenmeldungen war in München eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren und fünf Jahren Ehrverlust verhängt worden. In Magdeburg erhielt ein "32jähriger Rundfunkverbrecher" eine Strafe von vier Jahren Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust.

Fliegeralarme in der Nacht wurden zum alltäglichen Übel, das man hinnehmen musste. In manchen Wochen gab es jede Nacht Alarm, in einer Nacht sogar dreimal. In der Oberhessische Zeitung wurde von "gemeinen nächtlichen Überfällen" auf Städte und Dörfer berichtet. Dass es tatsächlich feindli-chen Luftangriffe und in welch großer Zahl auf deutschem Boden gab, konnte man Mitte des Jahres erstmals einer Meldung entnehmen: Englische Flieger hatten Bomben auf eine denkmalgeschützte Kirche in Derichsweiler geworfen. Die Briten sollten als Kulturschänder dargestellt werden. Aber nun wusste jeder Bescheid, dass die Briten in der Lage waren, Luftangriffe auf Deutschland zu fliegen.

Als es dann den Briten im Herbst 1940 gelang, dreimal Berlin anzugreifen, sollten vielen Volksgenossen die Augen aufgehen über die tatsächliche Kriegslage. Und keiner der Bürger, der möglicherweise die Rund-funkrede von Göring mit seiner Prahlerei mitbekommen hatte, konnte es wagen, öffentlich Hermann Göring von nun an "Meier" zu nennen. Denn dies sei Defätismus und Schädigung der Partei gewesen und hätte mit Sicherheit zur Verhaftung geführt. Im ersten Kriegsjahr errang die Truppe des Deutschen Reichs durch überfallartige Besetzungen und durch den Einmarsch in die westlichen Staaten be-achtliche Erfolge. Am 8. April erfolgte im Radio eine Sondermeldung: Deutsche Truppen hatten Norwegen besetzt, "Wir sind den Engländern zuvorge-kommen, die die Zufuhr von Erz aus Narvik nach Deutschland abschneiden wollten". Einen Monat später überschritten deutsche Truppen die Grenzen von Holland, Belgien und Luxemburg. Am 4. Juni war die Schlacht in Nord-frankreich beendet. Drei Tage läuteten die Glocken und acht Tage lang wurde überall geflaggt. nach dem Waffenstillstand in Frankreich am 24. Juni wurde angeordnet: sieben Tage Glockenläuten, zehn Tage Beflaggung. Der Chronist aus Wehrda notierte hierzu: "Die Freude ist allgemein riesengroß"

In der Volksschule wurde in den unteren Klassen mit Inbrunst das von Ernst Moritz Arndt (1769-1860) gedichtete, später vertonte Lied "Was ist des Deutschen Vaterland?" gesungen, Es war entstanden in der Zeit der Herrschaft von Kaiser Napoleon über die deutschen Reichsgebiete:

1. Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist´s Preußenland? Ist´s Schwabenland?
Ist´s wo am Rhein die Rebe blüht?
Ist´s wo am Belt die Möve zieht?

Refrain:
O nein, o nein. o nein. o nein!
Sein Vaterland muss größer sein!

2. Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist´s Bayerland? Ist´s Steierland?


Und am Ende des Liedes heißt es:

8. Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Zorn vertilgt den welschen Tand,
Wo jeder Franzmann heißet Feind,
Wo jeder Deutsche heißet Freund.
/:Das soll es sein! Das soll es sein!:/

Refrain:
O nein, o nein, o nein, o nein,
Sein Vaterland muss größer sein!

Mit diesem Lied - an dieser Stelle als Beispiel gebracht - lieferten die Natio-nalsozialisten in den Schulen die Begründung für ihren Angriffskrieg.

Neben den in großen Lettern jeweils angegebenen Schiffsversenkungen feindlicher Schiffe mit Angabe der Gesamtmenge der Tonnagen, waren es vor allem Meldungen über erfolgreiche Luftangriffe. Diese Angriffe waren jeweils heroische Taten der Luftwaffe. Dazu wurden in der Oberhessische Zeitung Topmeldungen von erfolgreichen Angriffen gebracht. Beispiele aus dem Oktober 1940:

3.10.: Volltreffer auf Werke und Flughäfen (London)
4.10.: "57.000 BRT. durch U-Boote versenkt"
7.10.: Volltreffer auf Öl- und Gasbehälter
8.10.: Fast pausenlos Fliegeralarm in London
10.10.: Deutsche Hilfskreuzer versenken 52.000 BRT
11.10.: "Eine Kette von Feuern in London"
13.10.: Tiefangriffe auf britische Flugplätze (Anm.: Beginn von deutschen Luftangriffen auf London - Dauer: acht Tage)
15.10.: Bomben auf 36 Bezirke Londons (Anm.: 449 deutsche Flugzeuge fliegen zum Angriff nach London)

In den seltenen Berichten über Bombardierungen deutscher Städte durch britische Bomber wurden diese als "Piratentum britische Bomber" dargestellt. So wurde erstmals über einen Luftangriff auf Berlin vom 9. Oktober 1940 berichtet mit den Worten: "Britische Mordbestie tobte in Berlin".

Die Kriegsrealität

Bereits im Juni 1940 gab es vermehrt britische Luftangriffe auf deutsche Städte: am 18. Juni 1940 Luftangriff auf Hamburg und Bremen, am 2. Juli 1940 Luftangriff auf Eisenbahnanlagen in Hamm. Bei einem britischen Luftangriff auf Antwerpen wurden am 14. September 1940 insgesamt 58 deutsche Bomber abgeschossen. Es konnte nicht verhindert werden, dass diese und weitere Angriffe bekannt wurden, obwohl eine konkrete Information nicht erfolgte oder nur berichtet wurde, wenn die Weitergabe der ungünstigen Nachricht nicht zu vermeiden war. Um Siegeszuversicht zu verbreiten und das frühere Großsprecherei vergessen zu machen, dass keine Bomber das Reich erreichen würden, prahlte Hitler am 4. September 1940: "Wenn sie unsere Städte im großen Maße angreifen, werden wir ihre Städte ausradieren".

Für den 16. Oktober 1940 wurde ein britischer Luftangriff auf Hamburg durch eine Zeitungsmeldung bestätigt. Von Berichten über weitere größere Angriffe blieben die Marburger "verschont". Schon im ersten Halbjahr 1940 hatten die Bomber der britischen Royal Air Force (RAF) mehrere deutsche Städte angegriffen: so u. a. auch Bielefeld, Duisburg, Freiburg, Frankfurt/Main, Mannheim.

Herrschaftswissen

Bereits im Mai 1940 ging man an die Herrichtung der Luftschutzräume in den Gewölben hinter dem Europäischen Hof . In den Akten steht, dass Mieter Leukroth (Europäischer Hof) mit der Errichtung der Luftschutzkeller hinter seinem Hotel einverstanden sei. Von der Firma Bopp, Besitzer der Gewölbe, sei keine Antwort eingegangen. Es wurde notiert: "Es ist daher anzunehmen, dass der Raum kostenlos zur Verfügung gestellt wird."

Da die Marburger in großer Zahl nicht mit feindlichen Luftangriffen auf ihre Stadt rechneten, zumal in der Stadt viele Kliniken, aber keine kriegswichtigen Fabrikanlagen standen, griff eine gewisse Nachlässigkeit über sowohl auf die Durchführung der Verdunkelung als auch auf die Beachtung von Fliegeralar-men. 1940 häuften sich nächtens die Alarme mit "Voralarm" und "Hauptalarm". Ein Teil der Bürger stand dabei jedes Mal auf und ging in die Schutzräume. Ein anderer Teil beachtete die Warnungen nicht und schlief ruhig weiter. Nur für kurze Zeit änderte sich das Verhalten, als am 12. August 1940 erstmals ein feindlicher Flieger eine Bombe über der Stadt abwerfen konnte. Der Einschlag der Sprengbombe in der Universitätsstraße war im gesamten Lahntal zu hören.

Dem Abwurf folgten keine weiteren Angriffe. Die Schäden auf der Straße wurden sehr schnell beseitigt, die Schienen der Straßenbahn wieder repariert. Die Oberhessische Zeitung, Sprachrohr der Partei, berichtete in keinem Wort über den ersten Bombeneinschlag in der Stadt. Den Marburger Parteiführern war dies Ereignis wohl zu peinlich. Jedoch führte man in der Stadt - um die Nachlässigkeiten zu beenden - wieder strenge Kontrollen der Verdunkelung ein. Schwere Bestrafungen wurden angedroht.

Die Bevölkerung war nicht besonders beeindruckt von dem Einzelangriff im Jahr 1940. Zuständig für die Abwehrmaßnahmen für Luftangriffe war Bürgermeister Walter Voß. Vor allem der Ausbau von Fluchtstätten, Bunker, Stollen, Keller und Splittergräben war seine Aufgabe. Für seine Leistungen wurde Voß 1941 das "Luftschutz-Ehrenzeichen II. Stufe" vom Führer verliehen. Die Bürger müssen die Luftschutzmaßnahmen, vor allem die immer wieder durchgeführten Probealarme nicht so ernst genommen haben, wie Voß es sich vor-stellte. So schrieb er am 3. Dezember 1940 an den Oberpräsidenten in Kas-sel in einem angeforderten Bericht zur Lage: "Die Disziplin bei Probealarmen hat in der Stadt merklich nachgelassen."

Auch ein Jahr später musste Bürgermeister Voß im jährlichen Lagebericht nach Kassel melden: "Es gibt Mangelbestände, aber man muss damit auskommen, die Alarmierung erfolgt in Marburg durch 4 Großalarmsirenen: Süd / Mitte / Nord / Tannenberg, 2 neue Sirenen beantragt. Jedoch sucht 90 % der Bevölkerung bei Fliegeralarm die Luftschutzkeller nicht auf." Zudem sind in dem Bericht Klagen über zu wenig Arbeitskräfte aufgeführt sowie "Obstversorgung - mangelhaft, Kleidung - knapp, Bestände Kleinkinderschuhe - sehr gering".

Im Marburger Kino "Capitol" wurden Filme zur Unterhaltung angeboten. Aber es gab auch Pflichtbesuche mit Vorführung von Propagandafilmen, so die Teilnahme am Pflichtfilm "Feldzug in Polen". Die Parteigenossen überprüften natürlich unauffällig die Anwesenheit. Bei der Aufführung für die Wehrdaer Bürger stellte Trübestein fest, dass einige Bürger fehlten. Aber er notierte: "Keiner wagt zu denunzieren. Die Wehrdaer NSDAP ist nicht so fanatisch wie etwa in Marburg". Zudem kam es noch zu Circusaufführungen (Circus Barum) in der Stadt.

Am 7. September 1940 erhielt die Stadtverwaltung ein Schreiben mit der Bitte um Meldungen für einen Einsatz von Mitarbeitern in den ehemaligen Kolonien:

"Da der Endsieg auch die Rückgabe der uns geraubten Kolonien bringen wird, ist es notwendig, rechtzeitig Beamte zu gewinnen, die gewillt sind, in den Dienst der Kolonien zu treten." Eine Meldung der Willigen sollte erfolgen. Aber aus Marburg wurde "Fehlanzeige" gemeldet. Nur ein einziger Beamter wurde notiert mit "nicht uninteressiert". Diese Anordnung aus Berlin drückte aus, wie sehr man in der NS-Regierung überzeugt war, die halbe Welt er-obern und beherrschen zu können.

Am 4. Dezember 1940 wurde in Marburg mit großem Propagandaaufwand neben der Elisabethkirche das Behring-Ehrenmal eingeweiht im Beisein von Reichsminister Rust, Gauleiter Weinrich und anderer in- und ausländischer Gäste. Jüdische Mitglieder der Familie von Behring durften an der Feier nicht teilnehmen.



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Zur Person des Autors

Der Autor wurde 1940 in Marburg, Ketzerbach 8, geboren. Das Hinterhaus, in dem der Vater eine Werkstatt unterhielt, grenzte an den Totenhof des Michelchens.

Nach dem Studium 1960-63 unterrichtete er als Lehrer in Stadtallendorf und Marburg. Bis zur Pensionierung war er als Direktor an einer Gesamtschule tätig.

Er befasst sich intensiv mit der Marburger Lokalpolitik und Lokalgeschichte. Von 1989 bis bis 1993 war er Stadtverordneter im Stadtparlament von Marburg und von 1997 bis 2001 Abgeordneter im Kreistag des Kreises Marburg-Biedenkopf, jeweils für eine bürgerliche Liste.

Bisherige Publikationen

  • Hans-Christian Sommer/Karl-Heinz Gimbel: Elisabethkirchen weltweit, Marburg 2008 (Bildband)
Seit 2010 erscheinen in unregelmäßigen Abständen Ausgaben der "Kleinen Reihe von Marburg".

Bisher sind erhältlich:

  • Band 1: Das Michelchen, St. Michaelskapelle in Marburg, Marburg 2010, ISBN 978-3-89703-744-4
  • Band 2: Der historische Hirsefeldsteg in Marburg an der Lahn, 1913-2010, Marburg 2010, ISBN 978-89703-749-6
  • Band 3: Marburger Holzbrücken über die Lahn im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, Marburg 2010, ISBN 978-89703-756-4
  • Band 4: Die Marburger Straßenbahn, Teil 1: Die Pferdebahn, 1903 - 1911, Marburg 2011, ISBN 978-89703-763-2
  • Band 5: Die Marburger Straßenbahn, Teil 2: Die "Elektrische", 1911 - 1951, Marburg 2011, ISBN 978-89703-772-4
  • Band 6: Der Marburger Kaiser-Wilhelm-Turm, Marburg 2012, ISBN 978-89703-781-6
  • Band 8: Die historische Ketzerbach, Marburg 2013, ISBN 978-89703-802-8
  • Der 2013 herausgebrachte Sonderband "Die Marburger Straßenbahn" ist eine gebundene Ausgabe mit Zusammenfassung der Reihe Nr. 4 und 5.
Veröffentlichungen von Aufsätzen in periodisch erscheinenden Publikationen:
  • Jahrbücher 2012, 2013 und 2015 des Kreises Marburg-Biedenkopf
  • Marburger Beiträge zur hessischen Geschichte, hrsg. vom Marburger Geschichtsverein, Nr. 21
  • Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Band 116


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